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Schule: Mehr Motivation bitte!

Die Corona-Krise und Zeiten von Homeschooling offenbaren einige Probleme unseres Schul- und Bildungssystems - und keineswegs nur technische.


Fehlende Motivation in der Schule

Gleich, mit wem ich mich gerade übers Homeschooling unterhalte, fast alle klagen. Entweder haben die Kinder kaum was auf und die Eltern haben Angst, dass sie den fehlenden Stoff irgendwann nachholen müssen oder sie haben viel zu viel auf, die Schulkinder sind im Stress oder gar überfordert. Die Auslastung ist sehr unterschiedlich, ein gesundes Mittelmaß scheint es nicht zu geben. Insbesondere Teenie-Eltern stöhnen, vorrangig Jungs-Eltern, denn ihren Heranwachsenden fehlt es in erster Linie an einem: an Motivation. Und genau dies ist meiner Meinung nach ein großes Manko vieler Schulen, dieses Problem besteht durchaus auch im Präsenzunterricht, aber in Zeiten von Homeschooling kommt es stärker zum Tragen.

Weniger Distanz im (Distanz)Unterricht

Keine Frage - die derzeitige Situation ist auch für Schulen und Lehrkräfte alles andere als einfach! Wechselunterricht stelle ich mir schon schwierig vor, aber Distanzunterricht muss für Lehrer extrem anstrengend sein. Ich möchte keine Lehrerin im Online-Unterricht sein, den Alleinunterhalter spielen und gegen 30 schwarze Kacheln im MSTeams sprechen. An einigen Schulen, speziell in den unteren Klassen, wird das Anmachen des Videos (z.B. mit irgendeinem beliebigen MSTeams-Hintergrundeffekt) erwartet. Was ich persönlich gut verstehen kann, ich mag in Videokonferenzen die anderen auch sehen, sonst könnten wir - bis auf das Teilen von Dateien - eine Telefonkonferenz machen. Bezogen auf den Unterricht wären die "sichtbaren" Schüler präsenter (und vielleicht nicht mehr im Schlafanzug und/oder mit Laptop im Bett liegend ;) und der Unterricht könnte per se interaktiver gestaltet werden.

Aber das meine ich nicht: Einige Lehrkräfte bauen selbst mit schwarzen Kacheln eine Beziehung auf, gehen auf die Schüler ein, nehmen alle mit. Sie ziehen nicht strikt den Lehrplan durch, gestalten den Unterricht variabel, schreiben aufmunternde Nachrichten zu den Arbeitsaufträgen und geben wertschätzende Rückmeldungen zu Unterrichtsbeiträgen und abgegebenen (Haus)Aufgaben. Sie stellen sich auf ihre Zielgruppe ein (Kinder und Jugendliche!), "erschlagen" die Kinder nicht mit Monologen und trockenem Fachwissen – gleich, ob auf dem Papier oder in der Onlinestunde. So meine Idealvorstellung von Schule und solche LehrerInnen, die ihre SchülerInnen wirklich respektieren, als Individuen sehen und das Beste für jeden Einzelnen wollen, gibt es tatsächlich. Aber oft bleiben Pädagogik und Motivation auf der Strecke - oder lässt der volle Lehrplan (gerade im G8) keinen Raum dafür?

Selbstvertrauen stärken und nicht nehmen

Meine Einstellung zu unserem Schul- und Bildungssystem hat sich in den letzten Jahren verändert. In den ersten Schuljahren meiner Kinder habe ich vieles nicht hinterfragt, obwohl ich als Elternbeiratsvorsitzende einige Kleinkriege zwischen Lehrern mit verschiedenen Lehrauffassungen miterlebt habe. Aber tatsächlich ist meine Sichtweise erst mit den Jahren differenzierter und kritischer geworden. Ab der weiterführenden Schule berichteten meine Kinder und ihre Schulfreunde immer öfter von unkontrollierten Wutausbrüchen auf Lehrerseite oder wie gerade vermeintlich "leistungsschwache" SchülerInnen noch zusätzlich demotiviert wurden. Zum Beispiel so: Ein Schüler, der in Mathe auf einer 5 steht, meldet sich im Unterricht. Der Mathelehrer nimmt ihn ran, mit den Worten "Ich hoffe, du weißt endlich mal was". Oder SchülerInnen werden nach vorn an die Tafel zitiert und vorgeführt. Die Kinder trauen sich kaum noch, Fragen zu stellen, wenn sie statt einer (guten) Erklärung nur hören: "Pass' halt besser auf, dann musst du nicht fragen!". Dabei sollten doch SchülerInnen Verständnisfragen stellen dürfen, dieser Mut sollte gewürdigt und gestärkt werden.

Aber auch ganze Klassen werden runtergemacht - da fallen wohl Sätze wie "Klassen mit großem Jungen-Anteil möchte halt kein Lehrer übernehmen" oder "ihr seid die schlimmste Klasse an der Schule" (das hörten allerdings gleich mehrere Klassen an der Schule ;(. Und auch in meinen Gesprächen mit Lehrkräften als Klassenelternsprecherin und den wenigen als Mutter gab es die positiven, wertschätzenden, motivierenden Lehrer und eben auch die anderen, die z.B. einen 4,0er-Schnitt in der Klassenarbeit oder Verständnisschwierigkeiten bei einem Großteil der Klasse nur als Konzentrationsproblem sahen, ohne ihre Lehrmethode, die Komplexität und Länge von Klassenarbeiten oder sich selbst zu hinterfragen.

Mehr Pädagogik, mehr Beziehung

Das Homeschooling hat meine Zweifel an unserem festgefahrenen Lehrsystem nochmal verschärft. Gefühlt ist jede Schule, jede/r Lehrer/in ein/e Einzelkämpfer/in, jede/r kommuniziert anders über die Online-Lernplattformen (und legt die Aufgaben anders ab) und gibt verschiedene große Arbeitsberge - Qualitätsstandards, ein einheitliches Vorgehen gibt es an vielen Schulen nicht. Abgesehen davon, dass nur wenige Unterrichtsinhalte moderner und praxisnäher als zu meinen Schulzeiten sind und dass das Vermitteln von Lernskills meist fehlt, kommt die Pädagogik im Lehramt zu kurz.

Lehrerinnen und Lehrer formen unsere Kinder mit, begleiten sie beim Erwachsenwerden, idealerweise machen sie Mut, geben ihnen Selbstvertrauen, selbst bzw. gerade, wenn ihnen ein Fach nicht liegt. Es ist im Idealfall ein respektvolles Miteinander (dies natürlich auf beiden Seiten!). Wie werden angehende Lehrer darauf vorbereitet, was sie im Schulalltag erleben? Sie begegnen sehr heterogenen Klassen, etwa 30 Individuen mit ganz unterschiedlichen Stärken, mit verschiedenen Ressourcen für Konzentration und Eigenmotivation. Und sie treffen auf Teenager, die nach Akzeptanz ringen und vieles im Kopf haben, nur nicht Schule und Lernen. Das ist bestimmt nicht einfach. Danke an die Schulen und LehrerInnen, die nicht aufhören, an ihre SchülerInnen zu glauben, die Beziehung aufbauen möchten und die multimedial lehren mit praktischen Beispielen, verschiedenen Erklärungswegen, modernen Texten und gut proportionierten (Haus)Aufgaben - ab der 1. Klasse bis zum Abitur.

Die Herausforderung bleibt

Noch ein Nachtrag zur aktuellen Schul-Situation in Zeiten von Corona: Die Kürzung von Klassenarbeiten und Schulaufgaben finde ich sinnvoll - über alle Klassenstufen hinweg, vor allem in der Grundschule (um Kinder und Eltern zu entlasten!) und in den unteren Klassen bis zur Mittelstufe. Auch in der Oberstufe ist das Druck-Wegnehmen meiner Meinung nach richtig und wichtig. Allerdings sind nun alle Beteiligten noch mehr gefordert, die künftigen Abschlussjahrgänge zu motivieren und nicht nur auf deren Eigenverantwortung beim Lernen zu zählen. Ich hoffe sehr auf Unterricht - gleich, ob im Distanz-, Wechsel- oder Präsenzunterricht - der Schüler (und ihre Eltern) nicht allein lässt, relevante Lernlücken erkennt und schließt, alle einbezieht und mitnimmt!


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